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EUPHORIUM_freakestra:
Die Abenteuer des Birg Borgenthal

(EUPH 012)

Oliver Schwerdt - Konzertflügel, Perkussion, Elektrische Orgel
Friedrich Kettlitz - Akustische Gitarre, Stimme, Perkussion, Elektrische Gitarre, Elektrische Orgel
Guillaume Maupin - Akustische Gitarre, Stimme
Beate Wein - Konzertflügel, Stimme
Doreen Mende - Konzertflügel
Kim In-Suk - Stimme

01 Vorher: Leipziger Koschmar (3'11)
02 Am Fuße: Durch den Tunnel muss man gehen (Von der Liebe und anderem schneckenerschlagendem Flügel) (5'47)
03 Im Pling: Die Angebote und Absagen des Meisters Stöllvariär (1'54)
04 Beate: Der hoffärtige Birg bei der Verfolgung eines Engels; Schnürsenkel zur Unzufriedenheit Aller (3'18)
05 B: ein drückendes Stahlwellenland (3'02)
06 Troubadour Arthur: Na aber so ein Nättergeselle... (5'50)
07 Im Pling: Prophezeiung von der Modulation der Zeit (2'47)
08 Beate: Abschließende "Besprechung" (2'31)
09 Tod: Weihnachtsrepublik (1'49)
10 Nachher: Ziemlich angesagter Leipziger Koschmar (5'11)
11 Nachwehen ( 10'37)

Kollektive revolutionäre Orgiastik.
Rigobert Dittmann

Dada in da house!

Bertl Grisser


The E U P H O R I U M _ f r e a k e s t r a in it's early days already formulating an album presenting different musical styles one piece after another. For shure the focus seems to lie on an improvisatory approch to dealing with contemporary chamber music. Yet every time EUPHORIUM delivers and lives for definite auditory adventures. Here you will find music creating sounds for some delicious situations on the being of an imaginary figure called Birg Borgenthal. Listen to the ultimate narrations Friedrich Kettlitz performs to some collisions of a pair of litle but thick crotales! Besides Oliver Schwerdt you can find Beate Wein and Dorren Mende celebrating personal excursions on the keyboard of a grand piano. For the first time Schwerdt and Kettlitz sit down sharing the first step of a process that once will drive their design of an neverending electric organ drone up to the arts of Axel Dörner and Roger Turner, Urs Leimgruber and Joris Rühl, Antonin Gerbal and Hannes Lingens. But the cornerstone of these adventures arises from the encounter of Kettlitz and french chansonnier Guillaume Maupin. Both are touching the inner heart of musical being within an intense avantgardistic dialogue.

D as E U P H O R I U M _ f r e a k e s t r a, kurz bevor es mit Günter Baby Sommer und Friedrich Schenker seine ersten großen Stars der Szenen des Free Jazz und der Zeitgenössischen Musik ins Boot zu holen sich anschickte, hat mit den Abenteuern des Birg Borgenthal ein ganz intimes, kammermusikalisch improvisiertes Werk geschaffen. Noch sind fern all die atemberaubenden Saxofonisten, Schlagzeuger und Kontrabassisten, welche die späteren Reinkarnationen des Ensembles besetzen werden. Beeindruckend hier, im Dezember des Jahres 2000, ist die große stilistische Vielfalt der Darbietungen und: die Kollektivität einer Musikproduktion, die in dem visuell aufwendig gestalteten Original-Booklet ihr damalig multikünstlerisches Selbstverständnis ausweist. Nicht zuletzt setzt Friedrich Kettlitz mit einem verbalen Paukenschlag zur initialen Wölbung des Mythos‘ jener transpersonalen Figuretten des EUPHORIUMS an. Das erste Album, welches das Projektenemble in Leipzig (übrigens in einer Art Guerilla-Aktion in einem damaligen Nebengebäude der örtlichen Musikhochschule) aufgenommen hat, liegt siebzehn Jahre nach Einspielung mit einem umfangreichen Begleittext als industriell reproduzierte CD öffentlich hörbar vor!

Format: CD
Price: 21,99 €
ISBN: 978-3-944301-39-6
Ordering: oliverschwerdt@euphorium.de
Digital download: https://euphoriumfreakestra.bandcamp.com/album/die-abenteuer-des-birg-borgenthal

 

Reviews:

Die Abenteuer des Birg Borgenthal (EUPH 012) führen, im Beiheft akribisch protokolliert und freakisch-skurril illustriert, zur Genesis des EUPHORIUM_ freakestra. Nach Schwerdts Zuzug nach Leipzig zum Wintersemester 1999 entstand mit Friedrichsschwerdt, seinem Odd Couple mit Friedrich Kettlitz, ein quasi Schwarzes Loch, das ansaugte, was immer dem freak-euphorischen Hunger zu nahe kam. Neben eher flüchtigen Damen-Bekanntschaften war das Guillaume Maupin, ein für Sun Ra und Captain Beefheart schwärmender französischer Kommilitone [dessen liedermacherisch zauseliger Troubadix-Countryfolk mittlerweile in Brüssel Gestalt angenommen hat in "Meilleur Que Mille Mots Dénués De Sens Ou La Philanthropie Des Ouvriers Charpentiers" (2003, mit winzigem Gastspiel von Schwerdt), "Folk in a Pleasant Mood" (2006) und "Around John Locke in a Day" (2012), in "sans folklore" (2015) mit Tartine de Clous auf den Spuren von Mélusine zu dritt a capella und, jack dupon-freakish, in Music For Rabbits]. Doch zurück diesseits des Rheins und ins Jahr 2000, zum 'Leipziger Koschmar' mit Schwerdts Geflügel und doppelt be-klampftem Friedrich-Guillaume'schem Sang und Kontrasang. Statt durch folkloreske Brombeerhecken führt der Weg über dadaeske Stoppelfelder, mit Poetry & Piano, John-Russeliger Drahtgitarre, Sopraneskapaden von Beate Wein, Muschelscat, und wie aus dem Nichts E-Gitarre und Elektrische Orgel für einen artrockistischen Stahlwellenländler. Maupin singt, mit schmeichelndem Understatement, Rimbauds Verherrlichung des Aufstand der Kommune 1871: Ô lâches, la voilà ! dégorgez dans les gares ! / Le soleil expia de ses poumons ardents / Les boulevards qu'un soir comblèrent les Barbares. / Voilà la Cité belle assise à l'occident ! Und versetzt, fremdkörperlich, aber lockend, Leipzig an die Seine. Kollektive revolutionäre Orgiastik setzt aber erst verzögert bei 'Weihnachtsrepublik' ein, zuvor bedichtet und beplingt Kettlitz völlig unerwartete Phänomene archaischer Zeit (und ruft mir dabei den mesomeren Ralf Schuster in den Sinn) und Beate vokalisiert im Muschelrock, bis das Kunstlied sich ins Groovige entbirgt. Nochmal ist Koschmar ziemlich angesagt, kurz koreanisch, lang überkandidelt, lang stumm. Als 'Nachwehen' spielt Doreen Mende (inzwischen Kuratorin, Mitbegründerin des Harun Farocki Institus in Berlin etc.) Klavier, Friedrichsschwerdt fiept und donnerorgelt elektrisch. Ein Vorgriff auf die musik-instrumentale Schiene des Freakestras (neben der poetisch-absurd-theatralischen).
Die Journeys von Maupin und den Leipzigern, einerseits ein folkloreskes File-under-popular mit Outsider-Charme, andererseits NowJazz-Virtuosität und performative Art Brut, teilen anscheinend nur in Letzterem eine schmale Schnittmenge. Und selbst dabei auf stilistisch ganz andere Weise. Aber trotzdem gibt es da die geteilte Neigung zum Quertriebigen, eine Unfähigkeit, ohne Sophistication und belesene Anspielungen auszukommen (so wenn er, tatsächlich wie Jack Dupon, Robert Louis Stevensons Eselin Modestine besingt oder einen Film von Glauber Rocha). Maupin singt ja sogar auch ein wenig auf deutsch. Nur singt er statt hochgestochene Manierismen von Ernest Borgnine, Turnschuhen, O Saft, Dönern, von Maria Konechno, die in Nowosibirsk Bob Dylan mag. Doch wenn er andererseits John Locke verdubt oder im Stil von Tartine de Clous und Woody Guthrie und mit einem John Lockgroove feiert?!?
BAD ALCHEMY, Rigobert Dittmann (Bad Alchemy Nr. 95, September 2017) (201709), S.40.

Ganz an den Anfang von Schwerdts Weg als aufnehmender Musiker sowie auch zurück zum Euphorium Freakestra führen Die Abenteuer des Birg Borgenthal. Der gerade einen Improvisationskurs an der Leipziger Hochschule für Musik besuchende Schwerdt versammelte sich im Jahr 2000 mit einigen Kolleginnen und Freundinnen zum munter-lustigen, experimentellen Austausch mittels Instrumenten, Stimmen und noch anderer Gerätschaft. Die Abenteuer ..., wie erklärt wird, eigentlich in einer Art Guerrilla-Aktion an der Hochschule aufgenommen, sind das Resultat: Eine Ansammlung erimprovisierter Elaborate (obwohl auch ein französisches Chanson mit Gitarrenbegleitung als Solo-Beitrag von Guillaume Maupin dabei ist), hervorgebracht in wechselnder Besetzung. Zumeist eher sparsam gehalten, aber Klavieristisches, heulende E-Gitarre, schräges Westerngitarrengeklampfe, Elektrorgelflächen, Perkussionsgeklapper und verbogene Gesangsmomente inklusive. Vielfach wird hier dilettiert, aber der Spaß ist dem Gehörten deutlich anzumerken – und ebenso der Schalk, der dieser Crew heftigst im Nacken sitzt. Dabei ist man, im Rahmen der damals gegebenen Möglichkeiten, mit Eifer, Kreativität und experimentellem Drive mutig und mit offenen Ohren und Geistern unterwegs, und so gelingt nicht nur absurd Witziges, sondern auch durchaus Origenelles. Dada in da house!
FREISTIL, Bertl Grisser (Freistil Nr. 75, November/Dezember 2017) (201711), S. 21
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